Ablehnung von Kita - Zulassungskriterien / Antrag der SPD - Fraktion
Der Stadtrat der Stadt Radeberg fordert den Landkreis Kamenz auf, den Beschluss Nr. 0453-18-451.16/03 aus der 18. Sitzung des Jugendhilfeausschuss des Landkreises Kamenz vom 07.07.2003 zu überprüfen und neu zu fassen. Hierzu fordert der Stadtrat der Stadt Radeberg den Landkreis Kamenz auf
Der Bürgermeister wird beauftragt
Nach Auffassung der SPD - Fraktion des Rates der Stadt Radeberg ist der vollständige oder teilweise Ausschluss von Kindern aus der Kindertagesbetreuung nicht zu verantworten. Nach dem gesicherten Stand der Wissenschaft kommt den Kindertageseinrichtungen gerade im Bereich frühkindlicher Betreuung eine wesentliche Bildungsaufgabe zu ( vgl. u.a. Prof. Dr. Dr. Dr. Fthenakis, Institut für Frühpädagogik in München). Die als verheerend anzusehenden Ergebnisse der PISA - Studie und weiterer OECD - Studien (z.B. IGLU) sind maßgeblich auf schon derzeit bestehende Unzulänglichkeiten in der frühkindlichen Betreuung und Förderung zurückzufuhren (vgl. u.a. Dr. Schleicher, OECD, internationaler Koordinator der PISA - Studie). Um so mehr ist einer weiteren Verschlechterung in diesem Bereich deutlicher Widerstand entgegen zu setzen. Der in Art. 6 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ebenso wie in Art. 22 der Verfassung des Freistaates Sachsen festgehaltene Grundsatz des staatlichen Schutzes der Familie bedingt geradezu eine umfängliche staatliche Gewährleistung der Sozialisations- und Bildungsmöglichkeiten aller Kinder. Aus ihm kann keinesfalls geschlossen werden, der Staat dürfe sich hier zurücklehnen und die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten mit den an sie gestellten Bildungs- und Erziehungsanforderungen alleine lassen. Der Bedarf an Kindertagesbetreuung darf nicht allein als elterlicher Bedarf zur Unterstützung der elterlichen Beruftätigkeit gesehen werden. Sondern ist als Bedarf der Kinder an bestmöglicher Sozialisation und Bildung aufzufassen. Durch jedwede Form der Einschränkung von frühkindlicher Betreuung und Förderung wird zudem die für den gesamtgesellschaftlichen Fortschritt und Wachstumsprozess entscheidende Ressource Mensch in ihrer optimalen Entfaltung behindert. Die Fehler, die wir heute in diesem Bereich begehen, belasten unmittelbar die Entwicklungsmöglichkeiten nicht nur unserer Kinder, sondern unserer gesamten Gesellschaft. Zudem zerstören wir durch derartige Einschränkungen einen der wenigen vorhandenen Standortvorteile der sog. "neuen Bundesländer". Bisher konnte zumindest der Osten Deutschlands auf ein relativ gutes und flächendeckendes Netz von Kindertageseinrichtungen stolz sein, um deren Aufbau man ihn in Deutschland beneidet und das man unter großen Kraftanstrengungen in ganz Deutschland zu erstellen versucht. Es ist aus Sicht der SPD - Fraktion des Rates der Stadt Radeberg nicht nachvollziehbar, dass man jetzt um äußerst geringer und in Summe fragwürdiger Einsparungen willen diesen Vorteil aufgeben will. Das man diese Einschränkung der Sozialisations- und Bildungsmöglichkeiten gerade bei den Kindern erwerbsloser Eltern ansetzt, ist zudem sozial in hohem Maße ungerecht. Gerade der hier benachteiligte Personenkreis gehört in überdurchschnittlichem Umfang bereits jetzt zu den Benachteiligten in unserer Gesellschaft. Diese Benachteiligung würde mithin noch verschärft und auf die Kinder und deren Zukunftschancen ausgedehnt. Oder anders gesagt : Bestehende soziale Unterschiede drohen über Generationen hinweg festgeschrieben zu werden. Benachteiligte Eltern haben benachteiligte Kinder - eine Entwicklung, die wir bereits jetzt im Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland überproportional im internationalen Vergleich konstatieren müssen (vgl. abermals PISA und IGLU). Dieser Entwicklung müssen wir im Interesse einer sozialen Gesellschaft ebenso wie zur Sicherung unserer gesamtgesellschaftlichen Ressourcen an Humankapital dringend entgegensteuern, anstatt sie durch Einschnitte in frühkindliche Fördermöglichkeiten noch zu befördern. Berücksichtigt man noch, dass vorliegend zunächst nur Kinder einkommensschwacher Eltern betroffen sind, deren Anträge auf Erstattung der Elternbeiträge dann abgelehnt werden, wird das soziale Problem ebenso deutlich wie die zugrunde liegende Ungleichbehandlung. Auch rein verwaltungsseitig ist die Beschlusslage zur Zulassungseinschränkung bei Kindertageseinrichtungen in Folge von Erwerbslosigkeit fragwürdig. Dies beginnt bereits bei der Frage, inwieweit die Erwerbstätigkeit der Eltern überhaupt festgestellt werden kann. Genügt z.B. der Besitz einer Gewerbeerlaubnis ? Oder wird der - wie auch immer zu definierende - Erfolg des Gewerbes oder der zeitliche Aufwand für das Gewerbe - wie auch immer zu kontrollieren - vorausgesetzt ? Genügt ein Mini - Job ? Oder mehrere ? Wie soll gesichert werden, dass der oder die Erwerbslose überhaupt Arbeit suchen kann ? Und Vorstellungsgespräche - ggf. auch auswärtig - führen kann ? Welche Fort- und Weiterbildung zur Verbesserung seiner Arbeitsmarktchancen sind ihm bzw. ihr zuzugestehen und welche nicht. Wie sind diese Faktoren in die Bedarfsplanung einzubeziehen ? Wie sollen die Städte und Gemeinden die Bedarfssicherung bei Wegfall der Einschränkungen gewährleisten ? Sofort oder durch Aufnahme in Wartelisten ? Welche Wartezeit ist angemessen, um ggf. vorhandene Chancen zur Arbeitsaufnahme nicht unmöglich zu machen ? Wie sollen die Städte und Gemeinden den hier vorzuhaltenden Platzbedarf definieren ? Wer finanziert diese Vorhalteplätze ? Wer ersetzt die Kosten, die durch Vorhalten von zeitlich befristeten Plätzen, die mithin auch nur anteilig durch Land und Eltern mitfinanziert werden, den Städten und Gemeinden zusätzlich entstehen ? Wie soll der festgesetzte Betreuungsschlüssel für alle dann gesichert werden ? Insgesamt ist festzustellen, dass die Umsetzung der beschlossenen Einschränkungen die Städte und Gemeinden vor kaum zu bewältigende Probleme stellt. Die ggf. beim Landkreis erzielten Einsparungen fuhren zudem bei den Städten und Gemeinden vorhersehbar zu Mehraufwendungen, die höher sind als die beim Landkreis erzielten Einsparungen. Aus all den dargestellten Gründen ergibt sich die Notwendigkeit, den Beschluss über den Ausschluss bzw. die Einschränkung der Betreuung erwerbsloser Kinder abzulehnen und mit allen verfügbaren Möglichkeiten gegen diesen Beschluss vorzugehen.